Kältemittel R1234yf:Kampfstoff aus der Auto-Klimaanlage

Das Cockpit einer Mercedes C-Klasse

Eigentlich soll das Kältemittel R1234yf die Umwelt schützen. Doch seitdem Testwagen von Mercedes Feuer fingen und festgestellt wurde, dass dabei giftige Gase entstehen, weigert sich das Unternehmen, das Mittel einzusetzen. (Im Bild: Das Cockpit einer Mercedes C-Klasse)

(Foto: Daimler AG - Global Communications)

Das umstrittene Kältemittel R1234yf, das in Autos eingesetzt wird, ist noch gefährlicher als angenommen. Im Brandfall entsteht eine Substanz, die eng verwandt ist mit Phosgen - einem Gaskampfstoff aus dem Ersten Weltkrieg.

Von Andrea Hoferichter

Der Streit um das Kältemittel R1234yf nimmt kein Ende. Die fluorhaltige Substanz mit dem passworttauglichen Namen sollte eigentlich beim Klimaschutz helfen. Der Treibhauseffekt von einem Kilogramm, das bei Unfällen oder am Ende des Autolebens entweicht, entspricht der Wirkung von weniger als einem Kilogramm Kohlendioxid. Beim bisher üblichen Mittel R134A waren es 1,3 Tonnen CO2. Diese Substanz ist darum gemäß einer EU-Richtlinie für alle seit 2011 zugelassenen Fahrzeugtypen nicht erlaubt und ab 2017 ganz verboten.

Seit aber das neue Mittel 2012 in Testfahrzeugen von Mercedes-Benz bei konzerneigenen Untersuchungen Feuer fing, tobt der Streit um Gefahr und Nutzen. R1234yf setzt bei Bränden giftige Chemikalien frei. Daimler weigert sich darum, die Chemikalie einzusetzen. Die deutschen Behörden haben neue Autos des Konzerns trotzdem zertifiziert. Die französischen Behörden hatten jedoch Anfang 2013 einigen Mercedes-Kompaktmodellen die Zulassung verweigert. Die zuständigen Gerichte erlaubten dem Hersteller im August 2013 im Wege einer einstweiligen Entscheidung den Verkauf seiner Autos; mit diesem Urteil endete am Montag auch die Hauptverhandlung. Die Richter entschieden, dass die wenigen Mercedes-Modelle keine große Umweltgefahr darstellten.

Eine weitere Substanz ist noch gesundheitsschädlicher

Inhaltlich ging es bei dem Streit neben der Feuergefahr bisher vor allem um das giftige Verbrennungsprodukt Fluorwasserstoff. Jetzt haben Forscher der Universität München eine weitere Substanz ausgemacht, die noch gesundheitsschädlicher ist. "Unsere Analysen haben gezeigt, dass die Rauchgase 20 Prozent Carbonyldifluorid enthalten ", sagt der Forscher Andreas Kornath. Die Chemikalie ist ein enger Verwandter des Gaskampfstoffs Phosgen aus dem Ersten Weltkrieg. Der einzige Unterschied: Statt zwei Chloratomen enthält die Substanz zwei Fluoratome.

Wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift für Naturforschung (Bd. 69b, S. 379, 2014) berichten, war es die erste umfassende Analyse der Verbrennungsprodukte von R1234yf überhaupt. Dass Carbonyldifluorid entstehen kann, ist zwar kein Geheimnis. "Die gängige Lehrbuchmeinung und auch die der Hersteller ist aber, dass sich die Substanz mit Wasser aus der Luft schnell zu Kohlendioxid und Fluorwasserstoff zersetzt", sagt Kornath. Eigene langjährige Erfahrungen und aktuelle Untersuchungen mit dem Stoff zeigten jedoch, dass dies nicht stimme und die Substanz beständiger sei als ihr Ruf. Die Münchner Chemiker fordern deshalb, das Gefahrenpotenzial von Carbonyldifluorid in die Risikoanalyse einzubeziehen.

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Kraftfahrtbundesamt haben bereits im vergangenen Herbst darauf hingewiesen, dass die Bildung von Carbonyldifluorid beim Brand von R1234yf bisher nicht ausreichend untersucht wurde. Wolfgang Plehn vom Umweltbundesamt bemängelt ebenfalls die dünne Datenlage. "Carbonyldifluorid ist ein bisher wenig untersuchter Stoff. Es gibt wenige Daten zur Toxikologie und Stabilität", berichtet er. Tierversuche wiesen aber darauf hin, dass die Substanz stärker akut toxisch wirke als die vergleichbare Stoffmenge Fluorwasserstoff.

In Deutschland sind bereits 120 000 Autos mit dem umstrittenen Mittel zugelassen

In Deutschland sind bereits 120 000 Autos mit dem umstrittenen Kältemittel zugelassen worden. Die EU hält zurzeit an R1234yf fest, auch weil das deutsche Kraftfahrtbundesamt in Crashtest-Szenarien im vergangenen Jahr keine Brandgefahr feststellen konnte, zumindest nicht unter Bedingungen, die nach dem Produktsicherheitsgesetz üblich oder vorhersehbar sind. Nur in Szenarien unter Extrembedingungen, zum Beispiel bei höheren Temperaturen, entzündete sich das Kältemittel. Sie könnten durch Motoren der nächsten Generationen auftreten.

Die Autohersteller Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW planen ohnehin, bald auf Kohlendioxid als Kältemittel umzusteigen und damit auf eine nicht brennbare Alternative, die zudem noch klimafreundlicher ist und sogar billiger sein soll als R1234yf. Allerdings müssen dafür neue Klimaanlagen her, vor allem weil ein Kältekreislauf mit Kohlendioxid höhere Drücke benötigt. Bis sich das Problem auf diesem Weg entschärfen lässt, werden deshalb sicher noch ein paar Jahre vergehen.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, der Treibhauseffekt von einem Kilogramm des Kältemittels R1234yf entspreche der Wirkung von vier Kilogramm Kohlendioxid. Richtig ist, dass das Kältemittel weniger Wirkung hat als die gleiche Menge CO2. Wir haben den Fehler korrigiert.

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